Nach der Wettkampfsaison ist vor der Wettkampfsaison… Natürlich ist eben diese Wettkampfsaison in ihrer zeitlichen Ausprägung nicht in Stein gemeißelt und kann, je nach anvisiertem Rennen, individuell festgelegt werden. In unseren hiesigen Breitengraden wird sich der Wettkampfkalender aber meist bis in den Herbst hineinziehen, um dann nach ein paar Wochen mit dem Fokus auf Regeneration und dem kontrollierten Zusammenbruch der Form wieder den Aufbau für die neue Laufsaison zu starten. So gesehen ist der Begriff „Wintertraining“ in diesem Kontext eher mit Bezeichnungen wie etwa „Aufbauphase“ gleichzusetzen und kann logischerweise auch in andere Jahreszeiten verschoben werden, wenn die eigenen Jahreshöhepunkte dies erforderlich machen.
In diesem Artikel sollen vor allem die Unterschiede zwischen einem Wintertraining explizit für Ultraläufer, im Vergleich zum klassisch, traditionellen Wintertraining von Athleten, welche auf kürzeren Strecken unterwegs sind, herausgearbeitet werden.
„Klassisches“ Wintertraining:
Natürlich lässt sich nicht alles bis zur Marathondistanz in einem Topf werfen und je nach Wettkampfhäufigkeit, -distanz, -dichte und -termin ergeben sich logischerweise individuelle Herangehensweisen, was den Aufbau im Jahresverlauf betrifft. Nichtsdestotrotz lässt sich schon generalisieren, dass das Wintertraining hier zu großen Teilen aus dem Aufbau einer guten Grundlage besteht. Natürlich soll das nicht heißen, dass man jede Trainingseinheit als moderaten Dauerlauf zu absolvieren hat. Auch hier wird man immer mal wieder auch die höheren Intensitätsbereiche bespielen und auch die Integration von Winterlaufserien oder koordinationsschulenden Crossläufen gehört zum Repertoire. Im Fokus steht jedoch die Ausbildung einer breiten Basis, um im späteren Verlauf mit dem entsprechenden wettkampfspezifischen Intensitätstraining aufzusatteln. Die Idee dahinter ist es, mit dem auf einer guten Grundlage basierenden Intensitätstraining einen besseren Leistungsstand zu erreichen, welcher sich auch über einen längeren Zeitraum in der Wettkampfphase konservieren lässt (vgl. Steffny, 2009, S.164ff).
Sicher lassen sich, insbesondere für kürzere Ultramarathons, auch über diesen Weg gute Ergebnisse erzielen. Gerade die Einstiegsdisziplin wie der 50-km-Lauf oder der 6-h-Lauf sind thematisch ja noch recht nah am Marathon dran. Zudem ist immer auch der mentale Aspekt zu berücksichtigen. Da es einigen Läufern in der kalten, dunklen Jahreszeit schwerfällt, überhaupt die Laufschuhe zu schnüren, soll der Schwerpunkt auf ruhige Dauerläufe an dieser Stelle auch nicht verurteilt werden. Die schlechteste aller Trainingsvarianten ist nämlich die, über den Winter die Laufmotivation komplett auf „Null“ zurückzufahren und das Lauftraining in den „Standby-Modus“ zu setzen.
Winterlauftraining im Ultramarathon:
Prinzipiell muss man das Rad für den Ultramarathon sicher nicht in allen Aspekten neu erfinden. Was eine sinnvolle Jahresperiodisierung anbelangt, lassen sich jedoch schon recht ausgeprägte Unterschiede festmachen. Die Frage, welche es zu beantworten gilt, ist ja immer auch die, welches Anforderungsprofil am Wettkampftag gefragt sein wird. Beim Ultramarathon haben wir natürlich die Besonderheit, dass die Wettkampfausprägung äußerst heterogen ist. Von 100 km flach, über Etappenläufen, bis hin zu mehrtägigen Nonstop-Events im alpinen Gelände ist quasi alles möglich. Eine Sache einen allerdings alle Wettkämpfe – es geht in allererster Linie darum, möglichst ausdauernd in einem verhältnismäßig moderaten Tempo Leistung zu erbringen.
Für unser Training bedeutet dies, dass wir uns überspitzt ausgedrückt gegenteilig zur klassischen Vorbereitung auf kürzere Strecken auf den Zielwettkampf vorbereiten. Das heißt die Bedeutung der (langen) Ausdauerläufe wird in den letzten 8-12 Wochen der Vorbereitung am größten sein. Zuvor gilt es, das Training auf die Verbesserung der Schwächen zu lenken sowie die Voraussetzungen für ein möglichst hohes Ausgangspotenzial zu schaffen.
Folgende Aspekte sollten dementsprechend in der (Ultra-)wettkampffernen Zeit im Winter angegangen werden:
1. Unterdistanztraining und insbesondere auf Verbesserung der VO2max ausgelegte Inhalte
2. Verbesserung von Athletiktraining und flankierenden Voraussetzungen
3. Regelmäßigkeit und Konstanz
1. Unterdistanztraining und insbesondere auf Verbesserung der VO2max ausgelegte Inhalte
Würde man bei Ultraläufern eine Befragung nach der Lieblingseinheit durchführen, würde mit großer Wahrscheinlichkeit der ruhige Dauerlauf und insbesondere der lange Lauf recht häufig genannt werden. Klar, man macht natürlich das am liebsten, was man auch am besten kann und es liegt in der Natur der Sache, dass für uns Ultraläufer diese Workouts im Verhältnis gesehen recht einfach zu absolvieren sind. Wenn man sich jedoch wirklich verbessern und das eigene Leistungspotenzial möglichst ausschöpfen will, ist es allerdings nicht damit getan, nur monoton das ganze Jahr über zu trainieren, sondern gerade in der noch wettkampffernen Zeit gilt es, auch mal die Komfortzone zu verlassen und sich beispielsweise an der VO2max abzuarbeiten.
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Begriffsklärung:
Die Energiegewinnung kann im Organismus prinzipiell mit und ohne Sauerstoff erfolgen, d.h. aerob und anaerob. Allerdings kann die Muskelarbeit ohne Sauerstoff nur wenige Sekunden bestehen bleiben, und der Sauerstoffbedarf steigt mit zunehmender Ausdauerleistung stark an. Die VO2max ist dabei die maximale Sauerstoffmenge, welche bei einer vollständigen Ausbelastung aufgenommen werden kann. Die VO2max gilt international als das Maß für die maximale aerobe Leistungsfähigkeit (Neumann & Hottenrott 2005, S. 220)
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Ziel der ganzen Übung ist es, dabei auf die verbesserte VO2max im späteren Verlauf ein umfangreiches Ausdauertraining aufzusatteln. Das „umfangreiche Ausdauertraining“ wird nämlich kommen müssen, wenn man sich der Herausforderung Ultramarathon stellen möchte. Da gibt es auch keine Abkürzungen, nur gilt es eben, diesen Aspekt nicht das ganze Jahr zu bespielen, sondern an den entsprechenden Stellschrauben zur richtigen Zeit zu drehen. In der wettkampffernen Zeit wird unsere Kerneinheit aber eben erstmal nicht der lange Lauf darstellen, sondern auch das Intervalltraining soll immer wieder hervorgehoben im Trainingsplan auftauchen. Es gilt also bildlich gesprochen erstmal den Motor zu bauen, um dann möglichst weit mit diesem zu fahren.
Stellt sich also nur noch die Frage, welche Intervalle ich durchführen soll, wenn ich, insbesondere eine Verbesserung der VO2max anstrebe?
Was das Terrain angeht sind wir da glücklicherweise recht flexibel und nicht an eine bestimmte Örtlichkeit gebunden. Der maximalen Sauerstoffaufnahme ist es nämlich sprichwörtlich egal, ob sie im Flachen oder am Hügel bespielt wird. Selbst die ausgeübte Sportart spielt keine entscheidende Rolle, wichtig ist stattdessen, dass der relevante Bereich mit der entsprechenden Belastungsintensität und über die akkumulierte Zeitdauer erreicht wird (Koop, J., Rutberg, J., Malcolm, C., 2021, S. 210).
Für uns Ultraläufer bevorzuge ich es diese Art der Intervalle am Berg durchzuführen – für den Fall, dass die topografischen Voraussetzungen vor Ort dies zulassen. Die Verletzungsgefahr ist schon geringer und die biomechanischen Aspekte des richtig schnellen Laufens im Flachen sind für die meisten Ultramarathonis nicht so relevant. Uns geht es ja weniger darum, beim nächsten 10-km-Wettkampf zu glänzen, sondern die Intervalle dienen als Mittel zum Zwecke. Bei meinen Athleten, welche nur wenig Vorerfahrung mit kurzen Intervallen haben, baue ich dieses Training – wenn örtlich möglich – fast immer in Form von Hügel-Intervallen ein, da hier der relevante Intensitätsbereich einfacher erreicht wird.
Hinsichtlich der zeitlichen Länge bewegen wir uns optimalerweise in der Größenordnung von 1:00 bis 4:00 Minuten mit relativ kurzen Pausen von bis zu maximal 3:00 Minuten. Rein aus der Sicht der maximalen Sauerstoffaufnahme kann eine Intervalldauer von 3:00 Minuten als die effektivste Variante bezeichnet werden (Koop, J., Rutberg, J., Malcolm, C., 2021, S. 29). Nun habe ich in diesem Artikel zwar die Bedeutung der VO2max stark in den Vordergrund gestellt, dennoch gilt es zu erwähnen, dass wir nicht nur in Bezug auf diesen Aspekt von den Intervallen im Wintertraining profitieren. Insbesondere auch Laufökonomie und Herzschlagvolumen etc. werden es uns danken, gelegentlich auch mal die Komfortzone verlassen zu haben. Der Verbesserung der VO2max durch das Training sind zwar Grenzen gesetzt, da diese auch recht stark von den genetischen Voraussetzungen abhängig ist, es lohnt sich aber dennoch, aus den genannten Gründen am Unterdistanztraining dran zu bleiben.
2. Verbesserung von Athletiktraining und flankierenden Voraussetzungen
Die Tatsache, dass das Athletiktraining hier in dem Artikel zum Wintertraining platziert wird hat in allererster Linie pragmatische Gründe. Im Gegensatz zu dem Unterdistanztraining spielt der Zeitpunkt des Krafttrainings in der Jahresperiodisierung nicht die ganz entscheidende Rolle. Athletiktraining ist wichtig als begleitende
Komponente zum Lauftraining. Nun ist es aber so, dass für die allermeisten Läufer und Läuferinnen gewöhnlich das Zeitbudget recht begrenzt ist. In der direkten Vorbereitung auf einen Ultramarathon kommen wir aber natürlich nicht umher, auch eine gewisse Umfangssumme zu absolvieren. Dementsprechend gibt es Phasen, in denen es gilt, das vorhandene Zeitbudget eher für das Laufen einzusetzen, während das begleitende Athletiktraining eher im Sinne eines Erhaltungstrainings durchgeführt wird. Wie bereits dargestellt, stehen im Wintertraining andere Aspekte als die ganz großen Laufumfänge im Fokus. Von daher bietet es sich gerade aus zeitpragmatischer Sicht wunderbar an, in dieser Phase dem Athletiktraining mehr Bedeutung zu schenken, um dann von dieser Ausgangsbasis für die Wettkampfsaison zu profitieren.
3. Regelmäßigkeit und Konstanz
Nicht explizit erwähnt werden muss an dieser Stelle, dass ein unterdistanzorientiertes Training nicht bedeutet, dass auf sämtliche Dauerläufe verzichtet werden soll. Die Regelmäßigkeit und Konstanz ist auch in der Saisonphase des Wintertrainings Grundvoraussetzung, um dann im späteren Verlauf mit den zunehmenden Umfängen keine allzu großen Belastungssprünge zu verursachen. Klar, bei kalten Temperaturen und frühzeitiger Dunkelheit ist der innere Schweinehund auch mal der Meinung, nicht vor die Haustüre gehen zu wollen. Die fehlenden ganz großen Ultramarathon-Highlights auf mittelfristiger Ebene machen diesen Umstand nicht einfacher. Wenn man das ganze Jahr über diszipliniert seine eigenen Ziele verfolgt, gehört es logischerweise schon auch mal dazu, gelegentlich dem inneren Schweinehund nachzugeben. Sicher wird der Verlauf der späteren Wettkampfsaison nicht von zehn Wochenkilometern rauf oder runter in dieser Trainingsphase abhängen. Wichtig ist jedoch auch im Winter – neben den genannten Schwerpunkten – zumindest auch eine Basis an Umfangstraining sicherzustellen. Es bietet sich in der unspezifischen Phase auch wunderbar an, die Dauerläufe in einem anderen Setting durchzuführen. Als Straßenläufer kann man hier ruhig auch mal vermehrt auf Trails laufen, analog gilt dies für den umgekehrten Fall.
Literatur:
Koop, J., Rutberg, J. & Malcolm, C. (2021). Training Essentials for Ultrarunning. Second Edition. Colorado Springs: CO, Koop Endurance Services, LLC
Neumann, G. & Hottenrott, K. (2005). Das große Buch vom Laufen. 2. überarb. Aufl., Aachen: Meyer & Meyer Verlag
Steffny, H. (2009). Das große Laufbuch. Alles, was man übers Laufen wissen muss. München: Südwest Verlag.
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